Selina Jörg: Siegen dank der Niederlagen

Erst Rückschläge, dann große Medaillen – die Lehren aus ihrer sportlichen Karriere will sich die Snowboard-Weltmeisterin Selina Jörg auch später im Berufsleben zunutze machen.


Kann einer Weltklasseathletin aus einer riskanten Sportart eigentlich Angst und Bange vor der zweiten Karriere sein? „Ein bisschen Schiss habe ich ehrlich gesagt schon. Man kennt ja nur das Sportlerleben“, sagt Selina Jörg, Fachgebiet Snowboard, Spezialitäten Parallel-Slalom und Parallel-Riesenslalom. Sie glaubt, es sei „sehr schwer, im Anschluss etwas zu finden, das genauso viel Spaß macht oder in dem man annähernd so gut ist wie in seinem Sport“. Letzteres gilt vor allem dann, wenn man so viele Erfolge aufzuweisen hat wie die 31-Jährige: Sie ist schließlich Weltmeisterin und Olympia-Silbermedaillengewinnerin. Dabei macht Jörg auf den ersten Blick nicht den Eindruck, zu oft ins Grübeln zu geraten. Wer die Sonthofenerin kennenlernt, trifft auf eine Strahlefrau – stets mit einem Lächeln im Gesicht, immer offen und unkompliziert, eine sehr angenehme Gesprächspartnerin. Dass sich vieles in ihrer sportlichen Karriere auch um Rückschläge und den Umgang mit Niederlagen dreht, erkennt man erst bei genauerem Hinschauen. Da ist beispielsweise ein vierter Platz in Vancouver 2010, der besonders schmerzte. Gerade deshalb, weil die Teamkolleginnen allesamt Medaillen sammeln konnten. „Da fängt man schon an zu zweifeln und denkt sich: Das kann doch nicht wahr sein! Besonders wenn man weiß, dass man es eigentlich kann“, gibt die Athletin Einblicke in ihr Seelenleben vor neun Jahren.

Selina Jörg - Snowboard
In ihrem Sportlerleben hat Selina Jörg gelernt aus Niederlagen gestärkt hervorzugehen (Foto: picture alliance)

Doch sie verlor ihr Ziel nicht aus den Augen und belohnte sich 2018 mit der olympischen Silbermedaille in Pyeongchang. Ein Jahr später krönte sie sich zur Weltmeisterin im Parallel-Riesenslalom. Ein Meilenstein und ein „unfassbares Gefühl“, wie Jörg selbst sagt. Und die Belohnung dafür, sich durchgebissen zu haben, immer orientiert an ihrem Erfolgsrezept:

„Man muss seiner Linie treu bleiben, kleinere Anpassungen vornehmen und an sich glauben.“

Selina Jörg - Snowboard
Beruflich orientiert sich Selina Jörg in Richtung Personalentwicklung (Foto: picture alliance)

„Aus Niederlagen Positives ziehen“ ist ebenfalls Teil des Credos, das die studierte Wirtschaftspsychologin nun auch im beruflichen Leben vertreten möchte. Im Sporthilfe-Speaker-Training mit dem Kommunikationsexperten Frank Asmus hat die Snowboarderin, gemeinsam mit einer kleinen Gruppe von anderen Top-Athleten, gelernt, ihre Geschichte als Rednerin präsentieren zu können. „Das Training mit Frank war ein super Angebot der Sporthilfe. Zum Glück konnte ich daran teilnehmen“, zeigt sich die seit 2002 geförderte Sportlerin zufrieden mit den Fortschritten der Workshops. Aktuell feilt sie an der finalen Präsentation und möchte dann erste Aufträge als Speakerin ergattern. Als Basis für solche Auftritte würde sich das Allgäu, ihre Heimat, eignen. Für Jörg, die dort geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen ist, eine Wohlfühloase. „Ich will definitiv hierbleiben. Es gibt für mich keine bessere Umgebung, um abzuschalten, in der Natur zu sein und die Batterien aufzuladen.“ Batterien aufladen für den Winter: Eine Saison möchte sie definitiv noch fahren. Auch, um „endlich diese verdammte Kugel“ zu gewinnen – die Trophäe für den Disziplinen- bzw. Gesamt-Weltcup. An Zielen mangelt es ihr also nicht.

Auch nicht für die Zeit nach der sportlichen Karriere. Besonders im Anschluss an Olympia 2018 hatte sich Jörg bereits intensiv mit den Gedanken auseinandergesetzt, wie das Berufsleben für sie aussehen könnte. Durch ihre praktischen Erfahrungen im Human-Ressources-Bereich während ihres Studiums war sie bereits in fortgeschrittenen Gesprächen mit einem Logistik Unternehmen, das ihr eine Stelle in der Personalentwicklung anbot. Doch der sportliche Ehrgeiz siegte, und die Allgäuerin entschied sich nach intensiven Überlegungen, mit dem Sport weiterzumachen. In dieser wichtigen Phase stand ihr auch Karsten Sachsenröder mit Rat und Tat zur Seite. Der Manager und Unternehmer ist Jörgs Mentor – vermittelt vom Mentorenprogramm der Sporthilfe und der Werte-Stiftung, das Spitzensportler und Entscheider aus der Wirtschaft zu Sparringspartnern macht.

„Ich bin echt dankbar für den Austausch mit Karsten und weiß, dass ich jederzeit mit Fragen auf ihn zugehen kann“, zeigt sich die Weltmeisterin glücklich über das Programm. „Wir haben uns rege über ein mögliches Karriereende ausgetauscht, und ich habe durch ihn tolle Kontakte gewinnen können. Momentan ist das Thema bei mir natürlich erst mal on hold – aber es ist gut zu wissen, einen solchen Ansprechpartner und Mentor zu haben.“ Bei beruflichen Fragen hat Selina Jörg somit einen Fixpunkt, an dem sie sich orientieren und der ihr bei den anstehenden Herausforderungen helfen kann. In sportlichen Dingen sucht die Snowboarderin auch abseits der Piste die Extreme – und nahm sich in der Sommerpause der sogenannten „FrodoChallenge“ an. Kurz erklärt: eine Trainingswoche wie Top-Triathlet Jan Frodeno absolvieren. Oder eben: 650 km Rad, 100 km Laufen, 25 km Schwimmen. Was ihr Ziel dabei war? „Überleben!“, kommt die Antwort lachend zurück. Aber natürlich hat Selina Jörg auch diese Aufgabe gemeistert. Durchgebissen, wie sie sagen würde.

Selina Jörg - Snowboard
„Natürlich fragt man sich: Was kommt nach der Sportkarriere? Werde ich auch im Berufsleben glücklich sein?“ (Foto: picture alliance)

(Veröffentlicht am 15.11.2019)



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