"Das falsche Signal"

Paralympics-Legende Gerd Schönfelder nimmt im Sporthilfe-Interview Stellung zur IOC-Entscheidung, die Sanktionen gegen Russland wieder aufzuheben und nimmt das IOC in die Pflicht, sich zu erneuern.


Außerdem schätzt der 16-fache Paralympics-Sieger die Medaillenchancen der alpinen Skisportler bei den Paralympics in Pyeongchang ein, erklärt seine Motivation, als ARD-Experte Menschen für den paralympischen Sport zu begeistern und erzählt von seinem Karriere-Beginn, als er noch bis zu 20.000 DM pro Saison selbst finanzieren musste.

Die Olympischen Spiele in Pyeongchang liegen hinter uns, welche Bilder sind bei Dir haften geblieben?

Gerd Schönfelder: Ich habe die Spiele intensiv verfolgt, es waren großartige deutsche Erfolge. Als deutscher Wintersportfan konnte man ja richtig viel Spaß haben. Besonders gefreut hat mich, dass mein Kumpel Eric Frenzel, mit dem ich mich auch immer wieder zum Rad-Training verabrede, nicht nur die deutsche Fahne tragen durfte, sondern sich mit zwei goldenen und einer bronzenen Medaille seine Träume verwirklichen konnte. Das war fantastisch!

Ab Freitag stehen die Paralympischen Spiele an. Nach so intensiven olympischen Wochen – wie groß ist Deine Vorfreude auf das nächste Groß-Ereignis?

Gerd Schönfelder: Riesig! Endlich geht es wieder weiter. Als ehemaliger paralympischer Sportler ist es natürlich nochmal etwas ganz besonderes. Aber ich glaube, viele Wintersport-Fans freuen sich jetzt nach zwei Wochen Pause auf die Paralympics.

Mit insgesamt 22 Medaillen, davon 16 goldenen, ist Gerd Schönfelder der weltweit erfolgreichste Athlet bei paralympischen Winterspielen.

Würdest Du selbst gern nochmal an den Start gehen?

Gerd Schönfelder: Ich habe 2011 nach der WM aufgehört und das auch nie bereut. Es ist gut so, wie es ist. Aber natürlich juckt es. Denn das Renn-Gen geht nicht verloren. Und es hätte auch noch viel mehr gejuckt, wenn es ein „München 2018“ gegeben hätte. Da wären vielleicht ein paar Hirngespinste aufgekommen und ich hätte mich von irgendjemandem irgendwie überzeugen lassen, nochmal Gas zu geben. Aber nein, jetzt mit 47 Jahren ist man im paralympischen Sport zwar noch nicht ganz außen vor, aber im alpinen Skisport ist in dem Alter nichts mehr zu holen. Ich habe es zudem lange genug gemacht und genug Medaillen gewonnen.

Das ist ein gutes Stichwort: Wie siehst Du die deutschen Medaillenchancen in Pyeongchang?

Gerd Schönfelder: Bei den Monoskifahrerinnen ist alles möglich, da haben wir mit Anna Schaffelhuber und Anna-Lena Forster zwei, die ständig im Weltcup vorne mit dabei sind. Bei den stehenden Damen haben Andrea Rothfuss, aber auch Anna-Maria Rieder Medaillenchancen, ebenso Noemi Ristau, in der Konkurrenz der Sehbehinderten. Also bei den Damen schaut es sehr gut aus. Bei den Herren: leider nicht. Was mir besonders weh tut, ist, dass wir in meiner, in der stehenden Klasse, in der richtig die Post abgeht, keinen Starter haben. Das ist sehr traurig.

Bei den Monoskifahrern mit Thomas Nolte und Georg Kreiter ist es wiederum schwer vorherzusagen. Da ist nochmal eine ganz andere Leistungsdichte vorhanden als bei den Frauen. Da muss schon alles passen. Wer gewinnen will, muss volles Risiko gehen. Und dann muss er auch damit rechnen, auszuscheiden.

Aber Risiko gehört auch im Behindertensport bei alpinen Skirennen einfach mit dazu. Auch wir lieben Geschwindigkeit und Action, warum auch nicht?! Es muss halt noch kalkulierbar sein. Nicht so wie in Sotschi…

Im alpinen Skisport ist in meinem Alter nichts mehr zu holen. Ich habe es zudem lange genug gemacht und genug Medaillen gewonnen.

Gerd Schönfelder

*02.09.1970 in Kulmain

Größte Erfolge: 16-facher Paralympics-Sieger, 14-facher Weltmeister, 8-maliger Weltcup-Gesamtsieger

… als Rennen mit schweren Stürzen dabei waren…

Gerd Schönfelder: Ja, aufgrund der warmen Witterung war die Piste teilweise schwer kalkulierbar geworden. Wäre ich damals technischer Direktor gewesen, hätte ich das Abfahrtsrennen abgebrochen. Das war grenzwertig und keine Werbung für den paralympischen Ski-alpin-Sport. Man kann von Glück sagen, dass nichts Schlimmeres passiert ist, ja, dass es keine Toten gegeben hat. Von daher hoffe ich, dass es in Pyeongchang sicherer sein wird. Die Olympischen Spiele haben allerdings schon gezeigt, dass es mit den eisigen Temperaturen und den Stürmen nicht die einfachsten Bedingungen für die Athleten sind. Ich bin gespannt.

Was erwartest Du generell von den Spielen in Südkorea?

Gerd Schönfelder: Ich glaube, dass sich die Südkoreaner sehr bemühen werden, dass es eine gute Veranstaltung wird. Ob von Seiten der Zuschauer eine große Euphorie vorhanden sein wird, das wage ich zu bezweifeln. Schon bei den Olympischen Spielen gab es ja leere Zuschauerränge. Wenn die Bevölkerung solche Wettkämpfe zum ersten Mal sieht, kann man nicht erwarten, dass eine große Begeisterung entsteht.

War die Vergabe der Winterspiele nach Südkorea somit keine gute Entscheidung des IOC?

Gerd Schönfelder: Mein Wunsch ist, dass Olympische und Paralympische Spiele nachhaltig sind, dass man nicht irgendwelche Stadien, Skisprungschanzen oder Rodelbahnen in die Landschaft baut, die danach wieder verrotten, weil kein Mensch sie braucht. Da bin ich absolut dagegen und nehme das IOC auch in die Pflicht, das in der Zukunft zu ändern; auch dass es sich selbst verändert, dass z.B. der Korruption ein Riegel vorgeschoben wird. Momentan gibt es keine gute Entwicklung.

Wie bewertest Du die jüngste Entscheidung des IOCs, die Sanktionen gegen Russland wieder aufzuheben?

Gerd Schönfelder: Schon die Entscheidung, Russland von den Olympischen Spielen nicht komplett auszuschließen, fand ich inkonsequent. Dass dann, drei Tage nach dem Ende der Winterspiele, das IOC die Suspendierung Russlands komplett aufhebt, ist sehr voreilig. Das ist das falsche Signal, insbesondere im Sinne und zum Schutz der sauberen Athleten. So werden wir den Anti-Doping-Kampf nicht gewinnen! Auch bei den Paralympics geht es nun in die falsche Richtung: Nachdem 2016 in Rio das Internationale Paralympische Komitee, das IPC, resoluter als das IOC gewesen war und Russland von den Paralympics komplett ausgeschlossen hatte, ist es für Pyeongchang leider der Entscheidung des IOC gefolgt. Das ist schon sehr traurig, da von russischer Seite nach wie vor keinerlei Signale kommen, den Weg des Anti-Doping-Kampfes konsequent mitzugehen.

Gerd Schönfelder präsentiert seine vier Goldmedaillen der Paralympics in Vancouver 2010

Während in diesem Fall die Annährung des paralympischen an den olympischen Sport nicht nach Deinem Geschmack ist, haben sich die Paralympics mit der Anbindung an die Olympischen Spiele in der Vergangenheit in die richtige Richtung entwickelt?

Gerd Schönfelder: Auf jeden Fall. Dass seit 1992 die Paralympics am selben Ort stattfinden wie die Olympischen Spiele, war ein ganz wichtiger Schritt für die Entwicklung, weil uns das eine gewisse Planungssicherheit gab und in der öffentlichen Wahrnehmung voran gebracht hat. Es wurde mehr berichtet, natürlich auch, weil deutsche Erfolge da waren. Und dies hat wiederum eine deutliche Verbesserung hinsichtlich der Förderung gebracht, sowohl im Trainerbereich, als auch für den einzelnen Athleten. Heute gibt es die Unterstützung durch den Verband und die Deutsche Sporthilfe, und seit dieser Saison auch erstmals Sportförder- Plätze beim Zoll. Zu meiner Anfangszeit habe ich quasi alles selbst finanziert, in den 90ern 10000 bis 20000 DM pro Saison ausgegeben und parallel Vollzeit als Elektrotechniker gearbeitet. Sonst hätte ich den Sport ja gar nicht finanzieren können.

Mit heute nicht mehr zu vergleichen…

Gerd Schönfelder: Heute würde man mit dem damals betriebenen Aufwand keinen Blumentopf mehr gewinnen. Auch ich habe mir nach und nach andere Möglichkeiten, sprich Sponsoren gesucht, um mehr Zeit in den Sport investieren zu können. Grundsätzlich ist die Leistungsdichte nicht so hoch wie im olympischen Bereich – das weiß eigentlich jeder, der sich damit ein wenig beschäftigt -, aber es gibt einige, ich sag mal, positiv Verrückte, die richtig Vollgas geben. Und die geben das Level vor. Wer etwas gewinnen will, muss einen enormen Aufwand betreiben. Gleichzeitig darf man die Duale Karriere nicht vernachlässigen, um später nicht mit leeren Händen dazustehen. Deshalb ist es super, dass unsere Athleten, die parallel studieren, über die Sporthilfe z.B. auch das Deutsche Bank Sport-Stipendium bekommen. Da hat sich in den letzten Jahren sehr viel zum Positiven entwickelt.

In Pyeongchang wirst Du nicht als Trainer sondern als Experte für die ARD vor Ort sein.

Gerd Schönfelder: Ja, und ich freue mich sehr auf die Aufgabe! Ich sehe es für unseren Sport als sehr wichtig an, dass es eine fachkundige Berichterstattung gibt. Ich will versuchen, meinen Teil dazu beizutragen, denn es ist ja für den Fernsehzuschauer nicht immer leicht, die Einteilung der Schadensklassen zu verstehen. Mir ist es aber auch wichtig, die Leute wieder für unseren Sport zu begeistern. Es fehlt uns an Nachwuchs. Denn zum einen nehmen uns die Fortschritte in der Medizin – Gott sein Dank! – den Nachwuchs weg, da es z.B. weniger Amputationen gibt. Zum anderen ist der Sport aber auch für den Anfänger, wenn die Förderung noch nicht greifen kann, kostenintensiv, zudem ortsabhängig – man braucht Berge – und zeitaufwendig. Durch das steigende Niveau ist der Abstand vom Anfänger zum Leistungssportler größer geworden, d.h. für Quereinsteiger gibt es hohe Hürden. Dabei ist Ski alpin ein super toller Sport, gerade für Menschen mit Behinderung. Wenn man es gut gelernt hat, kann man auch mit seinen Kumpels ohne große Einschränkungen gemeinsam Sport machen – in welchem Behindertensport-Bereich kann man das schon?! Deshalb ist mein Wunsch, durch gute Paralympics und durch gute Berichterstattung den ein oder anderen wieder für meinen Sport zu begeistern.

 

(Veröffentlicht am 7. März 2018)



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