Noemi Ristau - Behindertensport

Bild: Paul Hoffmann

Noemi Ristau: "Mutig und verrückt"

Mit weniger als zwei Prozent Sehkraft rast Skifahrerin Noemi Ristau die Pisten hinab und benötigt neben ihrer Vorliebe für Geschwindigkeit auch großes Vertrauen in ihren Guide Lucien Gerkau.


Wer mit über 100 km/h auf Skiern den Berg hinunter rast, muss schon eine ordentliche Portion Mut aufbringen. Noch um ein Vielfaches größer muss die Überwindung sein, wenn man dabei nahezu blind unterwegs ist – so wie Noemi Ristau. Weniger als zwei Prozent Sehkraft hat die 26-jährige Skifahrerin noch. Doch das hat sie nicht davon abgehalten, ihrem früheren Hobby nun in Rennen nachzugehen.

Navigationsgerät zum Erfolg

Gemeinsam mit Lucien Gerkau fährt sie im Duo den Berg hinab. Und es ist ein faszinierender Anblick: Ihr Guide vorneweg, mit lautstarken Kommandos, einige Meter dahinter Noemi Ristau. Von der Strecke und den Toren sieht sie nahezu nichts. Zwar hat sie den Verlauf zuvor einstudiert, doch im Rausch der Geschwindigkeit geben ihr hauptsächlich die Worte ihres Begleitläufers Orientierung. Gewissermaßen wie ein Navigationsgerät auf der Piste.

So rasant, wie das Duo auf der Piste unterwegs ist, war auch die Entwicklung. Im vergangenen Jahr feierten sie ihre WM-Premiere – und jubelten im italienischen Tarvisio gleich über Bronze im Slalom. Die bisherige Krönung folgte vor wenigen Wochen in Kanada. Im Super-G legten sie einen starken Lauf hin und fuhren den ersten Weltcup-Sieg ihrer Karriere ein. Ein Ausrufezeichen einen Monat vor den Paralympics.

Lucien Gerkau (vorne) und Noemi Ristau sind über ein Bluetooth Headset verbunden. (Bild: Paul Hoffmann)

Rasant in die Nachwuchselite-Förderung

Unterstützung erfahren sowohl Ristau als auch Gerkau von der Deutschen Sporthilfe. Seit Anfang 2017 ist die ausgebildete Ergotherapeutin in der Nachwuchselite-Förderung, die von der DFL Stiftung finanziert wird. Kurz später wurde auch ihr Begleitläufer in die Sporthilfe-Förderung aufgenommen.

Gemeinsam in der Sporthilfe-Förderung (Bild: Paul Hoffmann)

Bis zu 60 Tore müssen vor dem Start im Kopf abgespeichert werden

Zwischen beiden herrscht maximales Vertrauen. „Ohne geht es auch nicht. Wir sind ein eingespieltes Team und ich weiß, dass ich mich auf Lucien absolut verlassen kann“, beschreibt Noemi Ristau. Auch Geschwindigkeiten von über 100 km/h jagen ihr daher keine Angst ein. „Es macht mir einfach großen Spaß, so schnell zu fahren. Ich liebe die Geschwindigkeit und das Adrenalin“, sagt sie und Lucien Gerkau ergänzt mit einem Schmunzeln: „Das ist eine Kombination aus mutig und verrückt.“ Denn Ristau kann die Tore oder ihren Guide auf der Strecke nicht wirklich sehen. „Ab und zu erkenne ich mal einen Schatten, dann weiß ich, dass ich ein Tor passiert habe“, sagt die sehbehinderte Skifahrerin.

Umso entscheidender ist die Vorbereitung eines Rennens bei der Streckenbesichtigung. „Ich habe den gesamten Hang im Kopf, kenne ihn auswendig von oben bis unten mit all seinen Tücken“, betont Ristau. Die Schwierigkeit: Die Orientierung nicht zu verlieren. Immerhin müssen je nach Disziplin 40 bis 60 Tore umkurvt werden.

(Bild: Paul Hoffmann)

Podestplatz in PyeongChang ist das Ziel

Nun steht mit den Paralympics in Südkorea das große Ziel auf dem Programm. Die Vorfreude steigt täglich. „Ich bin gespannt, was auf mich zukommt. Von den anderen aus dem Team habe ich schon einiges erzählt bekommen und ich male mir aus, wie es werden könnte“, sagt die ausgebildete Ergotherapeutin. Nach WM-Bronze und Weltcup-Sieg schielen die beiden natürlich in Richtung Podestplätze, doch das Vorhaben lautet: „Alles geben, so wie immer, und dann schauen wir, was dabei herauskommt.“ Nach dem hervorragenden Abschneiden auch in den Speed-Rennen könnte das Duo in allen fünf Disziplinen an den Start gehen. Dann wollen Noemi Ristau und Lucien Gerkau ihre tolle Entwicklung unterstreichen und sich bei den Paralympics belohnen. Mit vollem Tempo, ohne zu sehen – und mit großem Vertrauen.

(Veröffentlicht am 02.03.2018 // Quelle: Deutscher Behindertensportverband e.V. – National Paralympic Committee Germany)

Noemi Ristau

* 23.09.1991 in Großostheim

Größte Erfolge: WM-Bronze 2017 im Slalom, Weltrangliste Platz 1 im Slalom 2015/2016

Teilnahme Blindenfußball WM 2009

Lucien Gerkau

* 4.1.1978 in Marburg

Größte Erfolge: WM-Bronze 2017 im Slalom, Weltrangliste Platz 1 im Slalom 2015/2016

10 Jahre internationale Skirennen



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