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Frankfurt am Main, 03.03.2022

Paralympics-Star Verena Bentele im Sporthilfe-Interview: „Mir tut es weh, wenn die Spiele nur mit Kommerz und Restriktionen in Verbindung gebracht werden“

Im Interview mit der Deutschen Sporthilfe ordnet Verena Bentele, zwölffache Paralympics-Siegerin und Mitglied der „Hall of Fame des deutschen Sports“, die Bedeutung der morgen beginnenden Paralympics vor dem Hintergrund des Kriegsgeschehens in der Ukraine ein. Außerdem äußert die DOSB-Vizepräsidentin ihre Erwartungen an das deutsche Team in Peking und bezieht Stellung zu einer möglichen deutschen Bewerbung um die Austragung von Olympischen und Paralympischen Spielen.

Deutsche Sporthilfe: Morgen beginnen die Paralympischen Spiele in Peking. Welche Bedeutung können sie angesichts der Lage in der Ukraine haben?

Verena Bentele: Der Krieg in der Ukraine macht es den Sportlerinnen und Sportler gerade sicher nicht leicht, sich auf ihren Sport zu konzentrieren. Wie wir alle sind auch sie mit ihren Gedanken bei den Menschen in der Ukraine, deren Situation einfach nur furchtbar ist.

Wie viel Vorfreude verspürst Du angesichts dieser Umstände auf die Paralympics?

Die Vorzeichen waren bereits vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine nicht ideal – Menschenrechtsverletzungen im Gastgeberland China, fehlende Nachhaltigkeit, Gigantismus beim Bau der Wettkampfstätten, die starken Einschränkungen aufgrund der Corona-Lage und fehlende Zuschauer. Das alles hat den Funken bei den Olympischen Spielen nicht so richtig überspringen lassen. Dennoch haben wir großartige Leistungen gesehen, und ich habe mit unseren deutschen Athleten mitgefiebert. So wird es mir auch bei den Paralympics gehen. Ich kann mir sehr gut vorstellen, wie aufgeregt die Athleten jetzt sind und werde sie, so gut es eben geht, von zuhause aus unterstützen.

In der Vergangenheit war immer mal wieder die Rede von Nachwuchsproblemen im deutschen Behindertensport. In Peking sind elf Teammitglieder 22 Jahre oder jünger, 14 feiern ihre paralympische Premiere.

Es ist sehr gut, dass jetzt junge Athleten nachkommen, wobei die älteren mit ihren Erfahrungen auch ungemein wertvoll sind. Wichtig ist, dass die Trainer ihre Arbeit in Zukunft weiter fortsetzen und viele junge Menschen für den paralympischen Sport begeistern.

Wie steht der deutsche Behindertensport insgesamt aktuell da?

Der Leistungssport ist bislang ganz ordentlich durch die schwere Pandemiezeit gekommen, aber der Breiten-, Gesundheits- und Rehasport hat doch sehr gelitten. Als Sportlerin weiß ich, wie wichtig tägliche Bewegung für das körperliche und seelische Wohlbefinden ist – und für Menschen mit Behinderung, die noch einmal mehr auf Begleitung oder Unterstützung angewiesen sind, waren die vergangenen Monate eine extreme Herausforderung. Nicht nur in Deutschland, sondern weltweit.

Blicken wir auf das Gastgeberland China, das sich im olympischen Medaillenranking auf Platz drei nach oben katapultiert hat, nachdem es in der Vergangenheit bei Winterspielen unter ferner Liefen rangierte. Erwartest Du im Para-Wintersport eine ähnliche Steigerung?

Das chinesische Para-Wintersport-Team ist bislang noch nicht wirklich in Erscheinung getreten. Ich wage zwar vorauszusagen, dass es mehr wird als die bisherige eine Medaille, aber ich erwarte hier keine Erfolgssteigerung wie bei den Olympischen Spielen. Auch wenn ich annehme, dass die Chinesen viel Geld investiert haben.

Sind die Spiele trotz aller Kritik an der Vergabe nach China dennoch eine Chance für den paralympischen Sport im Reich der Mitte?

In der heutigen Zeit muss es überall so viel mehr um Nachhaltigkeit gehen – allein beim Bau und der weiteren Nutzung der Wettkampfstätten. Was den Bezug auf Menschen mit Behinderung anbelangt, würde ich mir natürlich eine nachhaltige Wirkung wünschen. Aber ehrlich gesagt erwarte ich nicht allzu viel, denn wir haben die Erfahrung von den Sommerspielen in Peking 2008, die keine langfristige Veränderung mit sich brachten.

Der DOSB hat die Olympischen Spiele dazu genutzt, Sondierungsgespräche hinsichtlich einer deutschen Olympia- und Paralympics-Bewerbung zu führen. Sollte es dazu kommen, wären das die ersten Paralympics in Deutschland.

Ich werde die Bemühungen, Olympische und Paralympische Spiele nach Deutschland zu holen, aus vollem Herzen unterstützen. Als Sportlerin tut es mir weh, wenn die Spiele in der Öffentlichkeit nur mit Kommerz und Restriktionen in Verbindung gebracht werden. Ich will auch in meiner Funktion als DOSB-Vizepräsidentin dazu beitragen, das Thema wieder positiv zu besetzen, denn die Spiele haben so viele positive Attribute. Deutschland hat bereits vor 50 Jahren in München gezeigt, wie die Spiele nachhaltig sein können. Ich selbst habe zum Beispiel als Studentin im früheren Olympischen Dorf gewohnt und auch die Sportstätten dort nutzen können.

Wünschst Du Dir eher Sommer- oder Winterspiele in Deutschland?

Ich bin bei beiden Optionen voll dabei. Aber ich schätze, dass wir für Winterspiele bessere Chancen haben, weil es in Deutschland bereits viele geeignete Anlagen gibt, von Bob- und Rodelbahnen, Skisprungschanzen, Langlaufstadien bis hin zu alpinen Skigebieten. Ich freue mich sehr darauf, daran mitzuarbeiten, mit einem nachhaltigen Konzept die Olympischen Spiele, im Sommer oder Winter, nach Deutschland zu holen.

Abdruck des Interviews honorarfrei. Quelle: Deutsche Sporthilfe.

Zur Person

Verena Bentele (*28. Februar 1982 in Lindau)

Para-Biathlon und -Skilanglauf

Die blind geborene Skisportlerin Verena Bentele ist mit zwölf Paralympics-Goldmedaillen im Para-Biathlon und -Skilanglauf zwischen 1998 und 2010 einer der Superstars des paralympischen Sports. 2020 wurde „die blinde Skikönigin“ in die von der Deutschen Sporthilfe initiierte „Hall of Fame des deutschen Sports“ aufgenommen. Nach ihrer sportlichen Karriere – in der sie über acht Jahre von der Sporthilfe unterstützt wurde, heute ist sie Mitglied im Sporthilfe Alumni-Club – war die studierte Literaturwissenschaftlerin ab 2014 Behindertenbeauftragte der Bundesregierung. Seit Mai 2018 leitet sie als Präsidentin den größten Sozialverband VdK. Im Dezember 2021 wurde sie zudem zur DOSB-Vizepräsidentin gewählt.

Über die Deutsche Sporthilfe

Die Deutsche Sporthilfe begleitet seit 1967 deutsche Nachwuchs- und Spitzensportler:innen auf dem Weg in die Weltspitze. Seit ihrem Bestehen hat die Deutsche Sporthilfe bereits mehr als 54.000 Athlet:innen aus über 50 Sportarten mit rund 510 Millionen Euro an Fördermitteln sowie mit zahlreichen Maßnahmen zur persönlichen und schulischen bzw. beruflichen Entwicklung unterstützt. Mit Erfolg: Sporthilfe-geförderte Athlet:innen gewannen bislang 282 Goldmedaillen bei Olympischen Spielen sowie 345 Mal Gold bei den Paralympics.

Zahlen und Fakten zur Förderung der Athlet:innen bei den Paralympics 2022 in Peking finden sich hier…


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Heike Schönharting
Managerin Kommunikation

Tel.069 / 67803 – 511
Mailheike.schoenharting@sporthilfe.de


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