Skispringerin Katharina Althaus und Skiflug-Weltmeister Karl Geiger befürworten mehr Gleichberechtigung in ihrer Sportart. "Grundsätzlich müsste man sagen: Die Frauen machen genauso einen Wettkampf wie wir. Sie bringen die gleiche Leistung und sollten dafür eigentlich das gleiche kriegen", sagt der frischgebackene Vater einer Tochter im Interview für das Magazin go!d der Deutschen Sporthilfe. Althaus, bei der die Weltcup-Saison an diesem Wochenende beginnt, hofft auf neue Wettbewerbe: "Alles braucht etwas mehr Zeit, als wir es gerne hätten. Ich sehe kein Problem darin, wieso es nicht auch eine Vierschanzentournee für Damen geben sollte." Im Interview sprechen die beiden Oberstdorfer zudem über gestiegene Erwartungen, das Miteinander zwischen Männern und Frauen im Skispringen und die bevorstehende Heim-WM (23. Februar bis 7. März 2021).
Abdruck des Interviews honorarfrei. Quelle: go!d – Das Magazin der Deutschen Sporthilfe
Karl, auf der größten Schanze der Welt, dem Vikersundbakken in Norwegen, sind Weiten um die 250 Meter nicht ungewöhnlich. Was ist das für ein Gefühl, kurz bevor man sieben, acht Sekunden durch die Luft fliegt?
Karl Geiger: Da geht der Pulsschlag schon in die Höhe, da brauchen wir uns nichts vorzumachen. Auf so einer großen Schanze muss man auf Attacke gehen und darf nicht zögerlich sein. Erwischt man dann einen guten Sprung und kommt ins Fliegen, ist es ein unbeschreiblich geiles Gefühl.
Katharina, kannst Du dieses Gefühl nachvollziehen?
Katharina Althaus: Jein. Ich bin noch nie Ski geflogen, wir Frauen dürfen es leider noch nicht. Es reizt mich aber sehr, weil ich glaube, dass das Gefühl noch extremer ist. Die Geschwindigkeit, die Höhe – das lässt sich nur bedingt mit dem Skispringen vergleichen.
Skifliegen gibt es für die Damen ebenso wenig wie eine Vierschanzentournee, obwohl ein klares Agreement der vier Tournee-Orte besteht und auch die Sponsoren ihre Bereitschaft signalisiert haben. Wieso hat das Frauen-Skispringen so einen schweren Stand?
Althaus: Wir sind dabei, uns durchzuboxen und hochzukämpfen. In den vergangenen Jahren haben wir bereits viel erreicht. Bei der WM gibt es jetzt für uns vier Wettbewerbe, genau wie für die Herren. Und wir haben inzwischen wesentlich mehr Springen auf der Großschanze. Aber alles braucht etwas mehr Zeit, als wir es gerne hätten. Skifliegen, okay, da würde ich sagen, das bekommen die besten 15 des Weltcups sicher hin. Aber ich sehe kein Problem darin, wieso es nicht auch eine Vierschanzentournee für Damen geben sollte.
Was sagt der letztjährige Tourneedritte Karl Geiger dazu, könnte das funktionieren?
Geiger: Organisatorisch ist es wohl nicht ganz einfach zu lösen, hinter der Tournee steckt viel Aufwand. Es bräuchte daher ein gutes Konzept, aber wieso sollte es nicht möglich sein?
Unterschiede gibt es auch bei den Preisgeldern. Während diese zum Beispiel im Ski-Alpin-Weltcup angeglichen wurden, bekommen die Skispringer für jeden Weltcup-Punkt 100 Schweizer Franken, die Frauen 38. Kannst Du die Frustration der Damen verstehen?
Geiger: Natürlich. Ich weiß nicht genau, wie sich die Preisgelder zusammensetzen, aber grundsätzlich müsste man sagen: Die Frauen machen genauso einen Wettkampf wie wir, mit 50 Starterinnen im ersten und 30 im zweiten Durchgang. Sie bringen theoretisch also die gleiche Leistung und sollten dafür eigentlich das gleiche kriegen. Woran das genau scheitert, weiß ich nicht, vielleicht an den Werbeinnahmen.
Althaus: Wir wollen ja nicht, dass die Männer weniger verdienen. Aber es wäre schön, wenn das nach und nach ein bisschen angeglichen würde. Dieses Jahr ist allerdings wieder gar nichts passiert.
Zumindest bei der WM gibt es etwas Gleichberechtigung. Gemeinsam habt Ihr 2019 Gold im Mixed-Team gewonnen. Wie ist das Miteinander zwischen Männern und Frauen?
Geiger: Ich habe das Mixed-Team als coolen Wettkampf in Erinnerung. Es besteht ja nur aus zwei Männern und zwei Damen, das macht es schwierig, sich intern dafür zu qualifizieren. Schafft man das, spricht das für eine gute Form. Das Miteinander pusht enorm. Und obwohl sich Frauen und Männer über das Jahr nicht so oft sehen, sind die Abläufe bei allen gleich.
Althaus: In einem Wettkampf mit den Jungs zusammenzuspringen, ist immer ein bisschen aufregender und macht viel Spaß. Wir hatten dadurch natürlich auch viel mehr Zuschauer als sonst. Und ich denke, es ist für die Betrachter auch spannend zu sehen, dass wir Damen mit etwas mehr Anlauf die gleichen Weiten erzielen können.
Ende Februar könnt Ihr den Titel verteidigen, die WM findet in Eurer Heimat Oberstdorf statt – Corona-bedingt voraussichtlich mit einer anderen Atmosphäre als erhofft. Ist der Heim-Vorteil damit noch ein Faktor?
Althaus: Andersherum haben wir durch Corona vielleicht den Vorteil, dass wir sehr viele Trainingssprünge in Oberstdorf machen konnten. Es wäre natürlich schade, wenn wir bei der Heim-WM keine Zuschauer hätten, aber wir Athleten springen so oder so von der gleichen Schanze und müssen es so nehmen, wie es kommt. Ich bin da recht entspannt.
Geiger: Das sehe ich ähnlich. Unser Job bleibt gleich, ob mit oder ohne Fans. Andererseits: Wenn man gut in Form ist und weiß, da unten sind 27.000 Zuschauer – das setzt noch einmal ganz andere Emotionen frei. Erfolge zu feiern macht mit vielen Leuten natürlich mehr Spaß.
Bei der WM wird bei den Frauen erstmals eine Weltmeisterin auf der Großschanze gekürt. Kommt Dir diese Entwicklung hin zu größeren Schanzen entgegen?
Althaus: Ich sehe auf der großen Schanze schon einen Vorteil für mich, weil ich gut fliegen kann. Das wirkt sich dort natürlich mehr aus als auf einer Normalschanze und macht mehr Spaß. Mittlerweile habe ich aber ein gutes Mittelmaß zwischen Absprung und Flug gefunden.
Diese Weltcup-Saison ist die zehnte, die es für die Damen gibt – und Du warst bei allen zehn am Start. Bei Deinem Debüt warst Du erst 15 Jahre alt.
Althaus: Es sind noch einige aus den Anfangsjahren am Start, aber bei uns im Team bin ich die einzige und im gesamten Weltcup eine der wenigen, die tatsächlich bei allen Saisons komplett dabei waren – und zum Glück von schweren Verletzungen verschont geblieben bin.
In den letzten vier Jahren warst Du im Gesamt-Weltcup immer unter den Top 5. Mit welchem Ziel gehst Du in die neue Saison?
Althaus: Ich will wieder versuchen, von Anfang an vorne mit dabei zu sein. Und bei der WM daheim ist es natürlich mein Wunsch, in allen Springen um die Medaillen mitzukämpfen. Dieses Jahr ist es wegen Corona allerdings schwierig einzuschätzen, wo man steht, weil es zuletzt wenig direkte Vergleiche gab.
Karl, Du hast in der vergangenen Saison endgültig den Durchbruch geschafft: Elfmal auf dem Podest, Zweiter im Gesamtweltcup, Dritter bei der Vierschanzentournee. Wie gehst Du mit Deiner neuen Rolle um?
Geiger: Es herrscht schon ein bisschen mehr Trubel. Ich bin mir aber auch bewusst, dass letztes Jahr ein sehr, sehr gutes war und es keine Garantie dafür gibt, dass es nun genauso gut läuft. Um sich auf Erfolgen auszuruhen, dafür ist die Leistungsdichte einfach zu groß, das geht dann ratzfatz.
Als Skispringer steht man in Deutschland stark im Lichte der Öffentlichkeit und muss sich, wenn es mal nicht so läuft, auch Kritik anhören. Wie nimmst Du das wahr?
Geiger: Das beeinflusst einen natürlich. Die mediale Wahrnehmung, die unser Sport erfährt, ist nicht selbstverständlich und dafür sind wir sehr dankbar. Wenn es sportlich nicht läuft, macht es der Druck von außen aber nicht leichter. In den letzten Jahren hatten wir immer das Glück, dass einer in die Bresche gesprungen ist, wenn es bei einem anderen nicht so gut lief. So ist der Druck für den Einzelnen dann überschaubar.
Stichwort Öffentlichkeit: Du hast Energie- und Umwelttechnik studiert, spielen Gedanken bezüglich des Klimaschutzes bei Dir eine Rolle?
Geiger: Ja, aber etwas differenziert. Wenn wir einen Wettkampf in Japan haben, müssen wir dorthin fliegen, andernfalls findet er eben ohne uns statt. Aber wir versuchen, im Alltag nachhaltig zu arbeiten, auch mit dem Material, um unseren ökologischen Fußabdruck möglichst zu minimieren.
Die nächsten Olympischen Winterspiele finden 2022 in Peking statt – nicht unbedingt der erstbeste Ort, den man mit Wintersport verbindet.
Althaus: Nicht wirklich. Das war ja in Pyeongchang nicht anders, wo bei unserem Springen auch kaum Zuschauer an der Schanze waren. Es ist schade, wenn man genau weiß, dass die Anlagen nach den Spielen kaum noch genutzt werden. Ich war nach 2014 nie wieder in Sotschi, ich war nach 2018 nie wieder in Pyeongchang und in Peking wird es nach 2022 vermutlich ähnlich sein. Da fehlt mir die Nachhaltigkeit.
Während der Corona-Krise im Frühjahr warst Du häufig in den Medien vertreten, weil Du Masken für Ärzte und Rettungskräfte genäht hast. Hast Du mit diesem Echo gerechnet?
Althaus: Ich hätte nicht gedacht, dass das so eine riesige Welle schlägt. Das war für mich ein Stück weit selbstverständlich, ich wollte einfach helfen. Jetzt habe ich dafür sogar den Bayerischen Sportpreis bekommen. Das war krass, aber das sind nun mal die Zeiten.
Das Interview erscheint dieser Tage in „go!d – Das Magazin der Deutschen Sporthilfe“. Darin finden Sie auch folgende Themen: