Gerd Schönfelder ist eines der prägenden Gesichter des deutschen Para-Sports – und Teil der aktuellen Sporthilfe-Spendenkampagne #wirgehenweiter. Nach einem schweren Unfall stellt er sein Leben neu auf, kämpft sich zurück und wird zum erfolgreichsten deutschen Para-Athleten und 2018 als erster Para-Sportler überhaupt in die “Hall of Fame des deutschen Sports” aufgenommen. Im Interview spricht er über die entscheidende Rolle der Sporthilfe bei der Entwicklung des Para-Sports – und darüber, wo er weitere gesellschaftliche Herausforderungen sieht. 


Ein Ratschlag von Gerd Schönfelder an sein jüngeres Ich? „Man muss nicht immer pünktlich sein“, sagt er und grinst. Doch dahinter steckt eine tragische Geschichte: Mit 19 veränderte ein schwerer Unfall sein Leben schlagartig. Beim Versuch, einen Zug noch zu erwischen, geriet er zwischen Zug und Bahnsteig. Die linke Hand wurde teilweise zerstört, er behielt nur den Daumen, sein rechter Arm wurde komplett abgerissen. „Ich war bei vollem Bewusstsein“, sagt er. Was danach folgte, war hart: Gefüttert werden, auf Toilette gehen, alles wieder neu lernen. Und die Entscheidung: Aufgeben oder weitermachen. „Ich wollte meinen Eltern zeigen, dass es weitergeht. Für mich gab es nur die Flucht nach vorn.“ 

Er begann wieder Fußball zu spielen – „gelebte Inklusion, lange bevor der Begriff überhaupt existierte“ – und fand darüber zurück in ein selbstbestimmtes Leben. Zufällig erfuhr er später von der Behinderten-Ski-Nationalmannschaft. Über Kontakte – „unglaubliches Glück oder Schicksal“ – kam er zu einem Sichtungslehrgang. Er war jung, hatte Talent und Skirenn-Erfahrung. Von da an ging es schnell: „gute Trainer, viel Leidenschaft, große Fortschritte“.

Die finanzielle Seite war jedoch schwierig. In den 1990er-Jahren musste er nahezu alle Lehrgänge selbst bezahlen. „Ich habe 40 Stunden gearbeitet, um mir den Sport leisten zu können.“ Die Sporthilfe spielte nach und nach eine immer größere Rolle – wenn auch anfangs in kleinen Schritten. „200 Mark im Monat waren eine Tankfüllung – das war für mich damals viel.“  

Doch die Förderung der Sporthilfe im Para-Sport hat sich immer weiter professionalisiert. „Dass die Sporthilfe sich so stark entwickelt hat, hat vielen von uns überhaupt erst ermöglicht, lange im Sport zu bleiben.“ Gerd erinnert sich an die gesellschaftliche Entwicklung: 

„Als ich 1992 Paralympics gefahren bin, lief der Bericht am Ende der Sendung Aktion Sorgenkind. Da wurden schwerst-behinderte Kinder gezeigt und zum Schluss wir. Das sagt glaube ich genug darüber aus, wo wir gestartet sind.“ 

Heute sei die Wahrnehmung eine völlig andere – auch dank kontinuierlicher Spitzenleistungen von Athleten und Athletinnen wie Verena Bentele und ihm selbst. „Wenn Namen immer wieder auftauchen, verändert das den Blick auf den gesamten Sport.“ 2006 wurde Bundespräsident Horst Köhler persönlich aktiv und bat große Unternehmen um Unterstützung. „Das war entscheidend für den Para-Sport.“ 

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Trotz positiver Entwicklungen sieht er weiterhin strukturellen Handlungsbedarf: Fehlende Trainingsorte, mangelnde Schneesicherheit, zu wenig mediale Sichtbarkeit außerhalb der Paralympics. Er nennt als Beispiel die WM in Maribor, bei der fast kein Schnee lag und Rennen ausfallen mussten. Seine Vision: Para-Weltmeisterschaften sollten unmittelbar an olympische Wettkämpfe gekoppelt werden – gleiche Orte, gleiche Infrastruktur, gesicherte Berichterstattung. „Das wäre ein Riesenschritt für Teilhabe.“ 

Wertschätzung war für ihn immer ein wichtiger Teil der Sporthilfe. Besonders der Moment, als er zum “Champion des Jahres”  (Anm. d. Red.: heute der oder die Beste beim Sporthilfe Club der Besten) gewählt wurde – „von Sportlern gewählt, das ist die höchste Form der Anerkennung. Diese Auszeichnung ist mir bis heute am meisten wert.“ Auch die Aufnahme in die von der Sporthilfe initiierte Hall of Fame des deutschen Sports betrachtet er als Meilenstein: „Plötzlich steht man zwischen Michael Schumacher und Helmut Schön – da fragt man sich schon, ob das alles wahr ist.“ 

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Über Inklusion sagt er: Im Sport sei der Umgang oft natürlicher als im Alltag. Dort gebe es eher Unsicherheiten – „Angst, etwas falsch zu machen“. Seine Aufgabe als Para-Athlet sieht er darin, zu zeigen, dass Menschen mit Behinderung „ganz normal“ sind, Autonomie wollen, aber Unterstützung schätzen, wo sie nötig ist.

„Es geht um ein lockeres Miteinander, um echte Teilhabe.“

Heute trainiert er den Para-Nachwuchs und sieht darin eine gesellschaftliche Verantwortung. Nicht jeder werde Spitzensportlerin oder -sportler aber jede und jeder nehme etwas für das Leben mit: Selbstständigkeit, Selbstbewusstsein, Mut. „Alles im Leben ist Selbstbewusstsein.“ 

Für die kommenden Paralympics sieht er in der deutschen Para-Alpin-Mannschaft vor allem Anna-Lena Forster als Medaillengarantie, dazu Annemarie Rieder in einzelnen Disziplinen. „Die Männer-Konkurrenz ist brutal – da sind Top-Fünf schon ein Erfolg.“ 

Zum Klimawandel und zur Zukunft des Wintersports äußert er sich kritisch: Skifahren werde teurer, elitärer, die Schneelage unsicherer. Langfristig könne er sich nicht vorstellen, dass seine Enkel noch regelmäßig in den Bergen Schnee finden. Trotzdem: „Ich liebe diesen Sport. Und solange es geht, unterstütze ich die Kinder, die ihn auch lieben.“ 


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