"Wieder Leistungssportler durch und durch“

Ronny Ziesmer im Sporthilfe-Interview: Der frühere Spitzenturner, der seit einem Trainingsunfall querschnittsgelähmt ist und durch einen Sonderfonds der Sporthilfe unterstützt wird, über seine aktuellen Herausforderungen in der Para-Leichtathletik, sein Engagement für die Erforschung von Rückenmarksverletzungen und seine Vorfreude auf die diesjährige Turn-WM in Stuttgart.


Ronny, Du hast kürzlich Geld aus dem für Dich angelegten Sonderfonds bei der Sporthilfe abgerufen, wofür hast Du es benötigt? 

Die Gelder kann ich zweckgebunden für Kosten einsetzen, die aufgrund meiner Querschnittslähmung entstehen, und für Ausgaben, die ich für meinen Sport aufbringe. Konkret waren das zuletzt neue Reifen für meinen Rennrollstuhl und Teile einer Plattform für den Wurfring beim Keulenwurf.

Du hast letztes Jahr bei der Para-Leichtathletik-EM in Berlin Dein internationales Wettkampfdebüt gegeben. Wie ambitioniert betreibst Du den Wettkampfsport?

Ich bin wieder Leistungssportler durch und durch, ich trainiere zweimal am Tag. Bis auf mittwochs, da habe ich Physio und lasse diese danach wirken. Ich bin inzwischen im B-Kader des Deutschen Behindertensportverbandes und versuche, voll anzugreifen. Mein Ziel ist die WM im November in Dubai. 

Denkst Du darüber hinaus auch schon an die Paralympics 2020 in Tokio?

Auf jeden Fall! Für jeden Leistungssportler ist es ein Traum, seinen Leistungszenit zu erreichen. Nachdem es mir 2004 durch meinen Unfall nicht vergönnt war, zu den Olympischen Spielen zu fahren, will ich es jetzt unbedingt zu den Paralympics schaffen.

Ich habe Spaß daran, mich neu herauszufordern. Das ist sehr ähnlich zu dem, was ich früher als Turner gemacht habe.

Du klingst wie jemand, der sich mit seiner veränderten Lebenssituation arrangiert hat. Was kannst Du Kristina Vogel raten, die vergangenen Sommer durch einen Trainingsunfall eine Querschnittslähmung erlitt? Hast Du Kontakt zu ihr?

Zunächst war es natürlich schrecklich, von ihrem Unfall und den Folgen zu erfahren. Ich habe aber bisher keinen direkten Kontakt zu ihr und will mich auch nicht aufdrängen, da es ihr gut zu gehen scheint. Man muss im Leben Perspektiven haben, sich Ziele setzen. Als Leistungssportler fällt einem das vielleicht etwas leichter. Ich habe Spaß daran, mich neu herauszufordern. Das ist sehr ähnlich zu dem, was ich früher als Turner gemacht habe. Ich habe keine Bedenken, dass Kristina auch längerfristig mit der neuen Situation zurechtkommen wird.

Hat Dir am Anfang die Anteilnahme, auch die mediale Aufmerksamkeit geholfen?

Am Anfang war das sicherlich immens hilfreich. Es ist ein schönes Gefühl, wenn man merkt, dass man nicht vergessen wird. Das empfinde ich heute noch so, wenn ich bei Turnveranstaltungen bin. Da kennt mich jeder, ich kann mit jedem quatschen, das ist für mich die vielbesagte Turnfamilie. Über das Turnen hinaus habe ich aber auch die Öffentlichkeit genutzt, um auf das Thema Rückenmarksverletzungen aufmerksam zu machen und mithilfe der von mir gegründeten Stiftung „Allianz der Hoffnung“ die Forschung auf diesem Weg voranzutreiben. Ich will der Gesellschaft mit diesem Engagement etwas zurückgeben, nachdem sie mich nach meinem Unfall sozial so gut aufgefangen hat.

Wie viel Zeit kannst Du aktuell neben dem Sport in die Stiftung investieren?

Ich habe die Stiftung 2006 gemeinsam mit dem ehemaligen Sportreporter Eckhard Herholz, der mich auch gerade nach meinem Unfall medial großartig unterstützt hat, gegründet. Ecki hat da wahnsinnig viel geleistet. Wir haben aber auch bald gemerkt, dass eine Stiftung sehr viel Arbeit mit sich bringt. Allein das Stiftungsrecht hat uns nahezu überfordert, auch für die Spendenakquise bräuchte man einen hauptamtlichen Mitarbeiter. Von daher bin ich glücklich, dass wir unser Stiftungsziel mit der Gründung des „Zentrums für neuronale Regeneration“, des CNR, verwirklicht haben. Dort kann ich mich jetzt parallel zum Sport angemessen einbringen und als Botschafter wirkungsvoll agieren – durch meinen Abschluss in Biotechnologie wissen die Zuhörer dann auch, dass ich etwas von dem Thema verstehe. Aber das ist noch ein wenig Zukunftsmusik, wenn die Grundlagenforschung weiter vorangeschritten ist. Aktuell liegt mein Fokus auf dem Sport, und ich will in erster Linie durch sportliche Erfolge wieder in die Medien kommen.

Wie beurteilst Du den momentanen Leistungsstand der deutschen Turnerinnen und Turner?

Bei den Damen ist in der letzten Zeit eine gute Entwicklung sichtbar. Der Anschluss an die Weltspitze ist hergestellt, sie können vorne mitmischen. Die große Herausforderung ist, dass die Top-Turnerinnen gesund bleiben. Deutschland ist nicht China, wo schon zehn Turnerinnen in der Reihe dahinterstehen, wenn eine ausfällt.
Das sieht man auch bei den Herren, nach dem Rücktritt von Fabian Hambüchen gibt es neue Herausforderungen. In Europa ist der Anschluss an die Spitze da, aber an die Weltspitze zu kommen ist schwierig. Die Athleten müssen sich jeden Tag am Weltniveau orientieren und weniger nach der nationalen Konkurrenz schauen. Bundestrainer Andreas Hirsch macht einen Superjob, aber Ausnahmetalente gibt es nicht wie Sand am Meer. 

Ronny Ziesmer agiert für das ZDF als Co-Kommentator beim Turnen und war zuletzt 2016 in Rio de Janeiro als Experte dabei.

Nachwuchs kommt auch am besten nach, wenn eine Sportart medial transportiert wird. Ist Turnen ausreichend im Fernsehen übertragen?

Natürlich nie, es darf immer mehr sein! [lacht] Im Ernst, Turnen ist toll, aber jeden Tag will das auch keiner gucken. Und eins ist auch klar: König Fußball regiert. Es gibt daneben nur noch wenige Sportarten, die ins Konzept passen und nachhaltig übertragen werden. Selbst Handball ist nur zwei Wochen während der WM präsent, dann wieder vom Bildschirm verschwunden. Turnen oder Schwimmen, als Grundsportarten, sind während der Spiele Quotenkracher. Die Anstalten geben sich Mühe, und es wird auch übertragen, aber es ist schade, dass man es nicht schafft, das am Köcheln zu halten. Für mich ist Fußball in erster Linie Wirtschaft geworden und dann kommt erst der Sport. Ich würde mir mehr Vielfalt wünschen und nicht noch weitere Fünfte-Liga-Spiele im TV.

Sehen wir Dich aber auch wieder als TV-Experten im Rahmen der Turn-WM in Stuttgart?

Ich will bei der Heim-WM als ZDF-Experte dabei sein. Es ist toll, in der ersten Reihe mitzufiebern, für mich hat die Faszination Turnen an nichts verloren. Und bei der Turn-WM geht’s ja zusätzlich schon um die Olympia-Quali, mit einem achten Platz kann man sich als Team qualifizieren.


Ronny Ziesmer

Bei einem Trainingssprung in der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele 2004 in Athen zog sich Ronny Ziesmer eine Luxation der Halswirbelsäule zu und ist seitdem ab dem Hals abwärts gelähmt. Die Sporthilfe gründete für den seit seinem 15. Lebensjahr geförderten Athleten einen Sonderfonds für anstehende Rehabilitationsmaßnahmen und Investitionen, der durch Spenden und Benefizaktionen insbesondere in den Monaten nach dem Unfall gefüllt wurde.

Ziesmer, der mittlerweile seine Arme eingeschränkt wieder bewegen kann, ist seit 2008 als Handbiker aktiv, wechselte 2012 in die Leichtathletik und startete 2018 erstmals bei der Para-Leichtathletik-EM in Berlin, über 100 m und im Keulenwurf – eine Disziplin, die für Sportler geschaffen wurde, die keinen Diskus oder Speer greifen können. 

Der heute 39-Jährige studierte von 2005 bis 2011 Biotechnologie und gründete 2006 eine Stiftung unter dem Namen „Deutsche Stiftung Querschnittlähmung – Allianz der Hoffnung“, was 2008 zur Gründung des „Zentrums für neuronale Regeneration“ / CNR in Düsseldorf führte. Dieses hat die Aufgabe, weltweit verfügbares Wissen zu Rückenmarkserkrankungen zusammenzuführen. Ronny Ziesmer als Mitinitiator des Vereins sitzt im Vorstand und agiert als Botschafter.

(Veröffentlicht am 22.03.2019)

Ronny Ziesmer wurde 2003 Deutscher Meister im Mehrkampf, für die Olympischen Spiele 2004 durfte er sich Hoffnungen auf eine Medaille machen.



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