Mütter im Spitzensport: Mama ist die Weltbeste

Vor der Entscheidung, als aktive Leistungssportlerin ein Kind zu bekommen, scheuen sich viele Athletinnen – der Karriereknick scheint vorprogrammiert. Dabei zeigen immer mehr prominente Beispiele aus unterschiedlichen Sportarten, dass die Vereinbarkeit von Familie und Erfolg im Spitzensport durchaus möglich ist.


Cindy Roleder geht neuerdings bereits um 20:30 Uhr ins Bett. Edina Müller stellt manchmal erst bei der Arbeit fest, kein Mittagessen dabei zu haben. Und Dajana Eitberger verpasst die Radio-Show ihres Freundes, weil ein spontaner Mittagsschlaf dazwischenkommt. Bei jungen Müttern alles keine Besonderheit, wenn sich die Prioritäten in Richtung Familie verschieben und quasi nebenbei die eigene Karriere organisiert werden muss. Einfach ist das in keinem Job – erst recht nicht, wenn es sich um Leistungssport auf Weltklasse-Niveau handelt. Zumindest 100-Meter-Hürdensprinterin Cindy Roleder ist es aus ihrem Sport gewohnt, Hindernisse zu überwinden – egal, ob 84 Zentimeter hohe Hürden auf der Tartanbahn oder mittlerweile auch die Herausforderungen, die ein Alltag als Spitzenathletin und Mutter mit sich bringt.

„Ich habe nie verstanden, warum Mama-Sein gleichzeitig das Karriereende bedeuten muss“,

sagt die WM-Zweite, die plant, gut sechs Monate nach der Geburt ihrer Tochter, an den Olympischen Spielen in Tokio teilzunehmen. Eine Schwangerschaft als aktive Athletin will gut getimt sein, sofern das überhaupt möglich ist. Und selbst wenn das Timing stimmt, gibt es viele weitere Unsicherheiten und Vorurteile, mit denen Spitzensportlerinnen konfrontiert werden.

Der Kopf

Die Leistungssportkarriere für mindestens ein Jahr zu unterbrechen, vielleicht sogar auf ihrem Höhepunkt, ist keine einfache Entscheidung. Zumindest keine, die einer Athletin von offizieller Seite leicht gemacht wird. „Es passt eigentlich nie in unserem Sport, weil wir jedes Jahr ein Highlight haben. Wenn man sich aktiv dafür entscheidet, Mama zu werden, dann auch dafür, eine Weile auf den Sport zu verzichten“, sagt Roleder. Ein Weg, den auch Dajana Eitberger gegangen ist, Olympia-Zweite im Rennrodeln und jetzt Mutter eines einjährigen Jungen.

„Als Spitzensportlerin ist man angehalten, mit der Familiengründung zu warten, bis man seine Höchstleistungen absolviert hat, also bis man Mitte 30, Anfang 40 ist. Das ist der Preis, den es bislang zu bezahlen galt“,

sagt die Wintersportlerin. Nach einem Jahr Pause hat die 30-Jährige in der vergangenen Saison den Wiedereinstieg geschafft und ihr Comeback mit ihrer ersten WM-Einzelmedaille überhaupt gekrönt.

Geschlossene Trainingsstätten und Fitnessstudios - in Zeiten einer Pandemie ist Improvisation gefragt. Rennrodlerin Dajana Eitberger betätigt sich deshalb sportlich zu Hause, hier mit dem kleinen Levi als Trainingspartner. (Foto: Instagram)
Dass auch während einer Schwangerschaft Sport betrieben werden kann, zeigt Cindy Roleder: Ihre letzte Trainingseinheit absolvierte die 100-Meter-Hürdensprinterin zwei Tage vor der Entbindung. (Foto: Instagram)

Die gebürtige Thüringerin ist als Sportsoldatin über ihren Arbeitgeber abgesichert. Sie weiß aber von vielen älteren Athletinnen, die sich auch in Ermangelung einer abgeschlossenen Berufsausbildung nie an das Thema Familienplanung herangetraut haben. Gerade für junge Sportlerinnen kann diese Frage sehr beängstigend und auch belastend sein, glaubt Eitberger. 

„Manchmal scheint es schwierig, sich für Familie und gegen den Sport zu entscheiden. Ich sage ganz klar: Es geht beides. Die Grenzen setzt man sich nur selbst im Kopf.“

 

Das Umfeld

Bei aller persönlicher Freude: Trainer:innen, Funktionär:innen und nicht zuletzt Sponsoren brechen nur selten in Jubelarien aus, wenn eine erfolgreiche Athletin zunächst einmal nicht mehr zur Verfügung steht.

Eitberger hat dafür durchaus Verständnis, schließlich hat der Erfolg der Athlet:innen unmittelbare Auswirkung auf die Finanzierung der Spitzenverbände. Umgekehrt wäre ein Treuebekenntnis auch eine Chance, vorausgesetzt, das Comeback gelingt. „Das spricht dann ja für den Verband“, sagt Eitberger. Auf ihre Sponsoren war sie vor ihrer Pause proaktiv zugegangen, hatte ihnen freigestellt, sie weiterhin zu unterstützen – auch zu zunächst geringeren Bezügen. Niemand sprang ab. Cindy Roleder entschloss sich nach der Olympia-Verschiebung im Frühjahr 2020, es mit dem Kinderkriegen zu probieren und danach einen neuen sportlichen Anlauf zu wagen. Auch ihre Partner blieben an Bord, manche sprangen sogar thematisch auf den Schwangerschaftszug auf. „Allerdings kenne ich auch Geschichten von Athletinnen, denen die Sponsoren weggebrochen sind“, sagt Roleder.

International machte die Story von US-Sprinterin Allyson Felix Schlagzeilen, als sechsmalige Olympiasiegerin und zwölfmalige Weltmeisterin erfolgreichste Leichtathletin der Geschichte. Nach der Geburt ihrer Tochter im Jahr 2018 machte Felix öffentlich, dass ihr wichtigster Sponsor ihr wegen der Schwangerschaft die Bezüge gekürzt hatte. Was folgte, war ein Sturm der Entrüstung und eine Flut an Solidaritätsbekundungen. Für das Unternehmen ein PR-Desaster. Roleder macht inzwischen aber ein Umdenken in der Branche aus:

„Viele Athletinnen haben inzwischen bewiesen, dass sie nach einer Schwangerschaft sogar neue Bestleistungen erzielen können. Für einen Sponsor kann das auch ein extra Bonus sein.“

Über die #Comebackstronger-Förderung können Athletinnen während ihrer Schwangerschaft auch ohne Kaderstatus weiterhin unterstützt werden, so auch 2018 bei Kugelstoßerin Christina Schwanitz. (Foto: picture alliance)

Die Schwangerschaft

Wie lange und in welchem Umfang eine Athletin auch während der Schwangerschaft noch Sport treiben kann, ist selbstverständlich höchst individuell. „Natürlich muss man aufpassen, aber man kann weiter Sport treiben und sich auch am Ende der Schwangerschaft noch lange fit halten“, sagt Cindy Roleder. In den ersten drei Monaten trainierte sie beinahe normal, die letzte Einheit absolvierte sie noch zwei Tage vor der Entbindung. „Ich will mit solchen Mythen aufräumen und aufklären. Aber natürlich sieht das bei einer Risikoschwangerschaft anders aus“, betont die 31-Jährige.

In dieser Hinsicht Glück hatte auch Edina Müller, Welt- und Europameisterin im Para-Kanu auf der Rennstrecke. Nicht mehr als sieben Kilo nahm die querschnittgelähmte Athletin, die 2012 noch als Rollstuhlbasketballerin Paralympics-Gold gewonnen hatte, in ihrer Schwangerschaft zu. Sie hielt sich bis kurz vor der Entbindung fit, vor allem mit Stabilitätstraining. Sieben Wochen nach der Geburt ihres Sohnes saß sie schon wieder auf dem Ergometer. Eine Art Trainingsplan, wie sie als schwangere Leistungssportlerin trainieren sollte, fehlte ihr dabei allerdings. Beim Training sei sie häufig unsicher gewesen, was geht, was nicht und bastelte sich vieles selbst mit ihrem Trainer zusammen.

 

Die Unterstützung

Müller kam 2019 stärker aus der Schwangerschaftspause zurück, gewann sieben Monate nach der Geburt ihres Sohnes WM-Silber und war dabei so schnell wie nie auf dem Wasser unterwegs. Ein Triumph, der die Para-Kanutin besonders stolz macht. Denn obwohl sie gut organisiert ist und große Unterstützung ihrer Familie bekommt, hat auch Müllers Tag nur 24 Stunden. Die Rolle als Mutter eines Zweijährigen muss sie nicht nur mit dem Leben einer Spitzenathletin vereinbaren, sondern auch wieder mit ihrem Job als Sporttherapeutin. Sie hat eine Vollzeitstelle, wird aber für alle Trainings- und Wettkampfmaßnahmen von ihrem Arbeitgeber freigestellt.

„Das ist schon ein anderes Stresslevel als in der Elternzeit, als ich das Training ganz entspannt nach dem Kind ausrichten konnte. Das ist jetzt vorbei“, berichtet die 37-Jährige. Doch nicht in allen Sportarten ist es so überhaupt möglich, den Nachwuchs mit zum Training zu bringen. „Bei uns wird es nicht gerne gesehen, wenn die Familie mit dabei ist“, sagt Leichtathletin Cindy Roleder.

Dajana Eitbergers Sohn war hingegen schon im Trainingslager seiner Mutter zu Besuch, „weil er auch verstehen soll, was ich den ganzen Tag mache“. Das so erfolgreiche Comeback war Eitberger aber nur möglich, weil ihr Freund zum Unmut seines Arbeitgebers vier Monate Elternzeit nahm und ihr so den Rücken freihielt.

 

Das Comeback

Geht es um das Kinderkriegen, müssen auch perfekt organisierte Spitzenathletinnen ein Stück weit die Kontrolle abgeben: 

„Planbar ist eine Schwangerschaft nur bedingt, es muss einfach klappen“,

betont Roleder, die genau gerechnet hat, wie viel Zeit ihr im Optimalfall bliebe. Bereits sechs Wochen nach der Entbindung im Januar trainierte sie wieder nach Trainingsplan, ab Woche acht standen die ersten kleinen Hürden auf der Bahn – für den Weg zurück ist sie optimistisch, „wenn ich schnell die Schnellkraft wieder finde“.

Bereits nach sieben Wochen saß die Para-Kanutin Edina Müller wieder auf dem Ergometer. Auch ihr kleiner Sohn Liam ist seither immer mit dabei. (Foto: Instagram)

Die spezifischen Anforderungen in den Sportarten sorgen dafür, dass manchen Athlet:innen das Comeback leichter fällt als anderen. Und es entsprechend mehr Vorbilder gibt. Dass der Weg zurück in die Weltspitze aber auch sehr steinig sein kann, zeigt das Beispiel von Fußball-Nationaltorhüterin Almuth Schult. Die Olympiasiegerin von 2016 wurde vergangenes Jahr Mutter von Zwillingen und hoffte auf ein schnelles Comeback im Verein und beim DFB-Team. In beiden Fällen muss sie sich hintenanstellen, sich Stück für Stück zurückkämpfen. Erst langsam erinnere sich ihr Körper wieder daran, dass er zu einer Leistungssportlerin gehöre, erzählt Schult in der „FAZ“.

Schult, Eitberger, Roleder und Co eint daher eine Mission: Mehr Aufmerksamkeit für ihre Doppel-Rolle als Mutter und Leistungssportlerin schaffen. Das unterstützt auch Edina Müller, die seit fast 20 Jahren im Leistungssport aktiv ist. Sie sagt:

„Es hat sich schon ganz viel verändert. Mütter im Spitzensport sind einfach sichtbarer geworden, vor allem durch Social Media.“

Auf ihren Fotos taucht ihr Sohn sehr regelmäßig auf – einerseits, weil sie authentisch aufzeigen will, wie ihr Alltag als Mutter und Spitzensportlerin aussieht. Und andererseits, weil es schlichtweg oft nicht anders geht und Müller eben nicht nur die Weltbeste sein kann – sondern auch noch Mama.

(Veröffentlicht am 15.03.2021)

Erschienen im Sporthilfe-Magazin go!d - Zur kompletten Ausgabe (1/2021)



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