Ein letztes Mal über die Tartanbahn sprinten, den Speed spüren, alles geben. Die Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Tokio (13. bis 21. September) sollen der letzte Wettkampf für Sprinterin Lisa Mayer sein. Kurz vor ihrem 100 Meter-Vorlauf erzählt die seit 2014 von der Sporthilfe geförderte Athletin, warum sich ihre Karriere rückblickend fast wie ein Hollywood-Film anfühlt und eigentlich immer alles anders kommt, als man denkt.
Lisa, du stehst kurz vor den letzten Läufen deiner erfolgreichen und langen Leistungssportkarriere. Du bist für die Weltmeisterschaften in Tokio nicht nur für die 4x100 Meter-Staffel, sondern auch über die 100 Meter im Einzel nominiert. Mit welchen Gefühlen gehst du in deinen allerletzten Wettkampf?
Mit sehr viel Vorfreude – auf allen Ebenen. Ich trage die Entscheidung, dass dies mein letzter Wettkampf sein wird, schon seit einigen Wochen mit mir und freue mich jetzt einfach, diesen Moment wirklich erleben zu dürfen. Und eine WM bleibt sowieso etwas Besonderes: Im Nationaltrikot für Deutschland an den Start zu gehen, ist immer wieder eine riesige Ehre. Natürlich wird es auch emotional werden, das ist mir bewusst. Aber vielleicht ist genau das etwas, das mich noch einmal beflügeln und mir die nötige Lockerheit geben kann, die man gerade im 100 Meter-Sprint braucht. Ich lasse das auf mich zukommen, habe mir aber zusammen mit meiner Sportpsychologin Strategien überlegt, falls die Emotionen zu überwältigend werden. Denn so sehr ich diesen letzten Einzelstart genießen möchte, ich will auch nochmal gut performen. Diesen Leistungsanspruch legt man einfach nie ab. Auch bei meiner letzten WM heißt es nicht einfach nur „dabei sein ist alles“, sondern ich möchte auch nochmal erfolgreich sein.
Was sind das für Strategien, die du dir für so einen Moment zurechtgelegt hast?
Es gab jetzt immer wieder Situationen, in denen ich innerlich eine gewisse Leere gespürt habe, die nicht förderlich war, um Leistung abzurufen. Für diese Momente habe ich mir Techniken erarbeitet, um gezielt ein Gefühl hervorzurufen, das ich schon einmal bei einem Wettkampf erlebt habe. Dadurch kann ich mich wieder in diesen Zustand versetzen und die Energie abrufen, die ich brauche. Ich hoffe, dass mir das bei der WM gelingt.
War dieses veränderte Gefühl für dich letztlich ausschlaggebend, deine Karriere zu beenden? Oder hattest du schon länger im Kopf, dass dies deine letzte Saison sein wird?
Ich hatte immer nur bis Paris geplant, weil mein großes Ziel war, dort im Staffelfinale zu stehen. Dass daraus sogar eine Bronzemedaille geworden ist – das war fast wie im Hollywoodfilm und ist für mich bis heute surreal.
Danach habe ich viel mit meinem Trainer gesprochen und dann waren da doch direkt neue Ziele: Ich wusste, ich möchte wieder öfter die 200 Meter laufen. Ich wollte meine Bestzeit über 100 Meter noch mal verbessern. Ich war noch nie deutsche Meisterin.
Das waren so Ziele, die noch in mir schlummerten. Also habe ich weiter trainiert, jetzt muss ich einfach sagen – und das war natürlich ein schleichender Prozess, den ich am Anfang auch gar nicht so wahrgenommen habe – das Feuer ist einfach nicht mehr so groß.
Im Training konnte ich mich nicht mehr so quälen wie das noch vor ein, zwei Jahren der Fall war. Die Bedeutung von Wettkämpfen hat nachgelassen. Ein Schlüsselmoment war, als ich meine Bestzeit von 11,10 Sekunden in Regensburg gelaufen bin. Ich habe mich gar nicht mehr so darüber freuen können wie früher. Da habe ich gemerkt: Ich habe mir in Paris mit dieser Medaille wirklich alles erfüllt, was ich mir hätte erträumen können. Es definiert mich als Athletin nicht, ob ich jetzt 10,99 Sekunden oder 11,05 Sekunden laufe. Hätte man mich das noch vor fünf Jahren gefragt, hätte ich eine ganz andere Antwort darauf gegeben.
Warst du schnell im Reinen mit deiner Entscheidung?
Ja, absolut. Ich habe über zwölf Jahre alles dem Sport untergeordnet – mit großem Erfolg, auf den ich unglaublich stolz bin. Aber irgendwann verschieben sich die Prioritäten. Leistungssport bringt neben den schönen Momenten auch unglaublich viel Verzicht, harte Arbeit und Disziplin mit sich. Ich habe gemerkt, dass ich das nicht mehr möchte. Und das fühlt sich nicht schlimm an, sondern genau richtig.
Wenn du auf deine Anfänge zurückblickst: Hättest du dir vorstellen können, dass du einmal EM-Medaillen und sogar Olympia-Bronze gewinnst?
Nein, niemals. Ich habe mit acht oder neun Jahren mit der Leichtathletik angefangen. Davor habe ich Handball, Volleyball und Badminton ausprobiert. Zur Leichtathletik bin ich ohne Leistungsanspruch gegangen, einfach aus Spaß. Ich bin da wirklich hineingestolpert: 2013 habe ich die Norm für die U18-WM geschafft, ohne überhaupt zu wissen, was das bedeutet oder wie schnell ich dafür laufen müsste. Ab da war ich jedes Jahr dabei – aber dass es einmal bis zu einer Olympiamedaille reicht, hätte ich mir damals nicht erträumen können.
Welche Momente waren für dich – neben den Olympischen Spielen in Paris – besonders prägend?
2016 war ein Schlüsseljahr: Mit 20 Jahren stand ich im 200 Meter-Finale bei der EM, wir gewannen Bronze mit der Staffel, und ich durfte in Rio starten. Das war mein erstes Jahr bei den Aktiven. Damals habe ich das erste Mal so richtig gemerkt, wo die Reise hingehen kann. Die emotionalsten Momente waren für mich sicher der EM-Titel in München 2022 und die Bronzemedaille in Paris 2024. Nicht nur wegen der Medaillen, sondern auch wegen der besonderen Orte und Umstände: In München bin ich nach Verletzungsproblemen Last Minute in die Staffel gerutscht und wir haben in der letzten Disziplin am allerletzten Tag im eigenen Land Gold geholt. Das war einzigartig!
In all diesen Momenten hat die Sporthilfe dich begleitet. Seit 2014 bist du geförderte Athletin und hast vom Deutsche Bank Sport-Stipendium bis zur Top Team Förderung bereits verschiedene Förderprogramme erhalten. Welche Bedeutung hatte diese Unterstützung für dich?
Die Förderung durch die Sporthilfe war wirklich enorm wichtig! Gerade am Anfang. Dank der Förderung konnte ich von zu Hause ausziehen, nach Frankfurt an den Bundesstützpunkt gehen, dort Germanistik und Geographie studieren und auf eigenen Beinen stehen. Das war für meine persönliche Entwicklung genauso wichtig wie für meine sportliche. Ich bin wirklich ganz, ganz dankbar die Sporthilfe so lange schon an meiner Seite zu haben.
Du sprichst über deine duale Karriere, 2016 wurdest du sogar zur Deutsche Bank Sport-Stipendiatin des Jahres gewählt. Was hat das für dich bedeutet?
Das war eine riesengroße Ehre. Und hat es auch finanziell deutlich einfacher gemacht den Sport professionell zu betreiben und gleichzeitig zu studieren. Ich finde gerade der Nachwuchs müsste noch viel, viel mehr gefördert und unterstützt werden. Die Athleten, die es schon geschafft haben, die sollten viel mehr durch beispielsweise Prämiensysteme ihre Unterstützung erhalten. Denn gerade in der Jugend ist die Förderung der Sporthilfe wirklich unerlässlich, um sich überhaupt zu trauen, den Weg in den Spitzensport zu gehen.
Du hattest in deiner Karriere mit vielen Verletzungen zu kämpfen, warst deshalb auch schon Teil des Sporthilfe-Förderprogramms #comebackstronger. Wie hast du es geschafft, dich nach Verletzungen immer wieder so erfolgreich zurück zu kämpfen?
Manchmal frage ich mich das selbst. Ich glaube, es waren zwei Dinge entscheidend: Erstens der Glaube an mich selbst – das Gefühl, dass noch mehr in mir steckt. Und zweitens mein Umfeld. Ohne mein Team, das immer genauso an mich geglaubt hat, hätte ich das nie geschafft. Letzteres ist vielleicht sogar noch wichtiger.
Welche Erfahrungen aus dem Sport nimmst du in dein Leben nach der Karriere mit?
Dass es immer anders kommt, als man denkt. Keine Saison lief so, wie ich sie mir vorgestellt hatte – und trotzdem ist es in den meisten Fällen gut ausgegangen. Diese Flexibilität, immer einen Plan C in der Hinterhand zu haben, ist etwas, das ich mitnehme. Und: Bei allem Ehrgeiz darf man nie vergessen, warum man angefangen hat: Nämlich aus Spaß an der Bewegung. Das möchte ich auch jungen Athletinnen und Athleten mitgeben.
Nach der WM beginnt für dich ein neuer Lebensabschnitt. Hast du schon konkrete Pläne?
Ich habe viele Gedanken, aber noch keine endgültigen Entscheidungen getroffen. Nach der WM möchte ich mir Zeit nehmen, Gespräche führen und schauen, wohin es geht. Es haben sich bereits Türen geöffnet, was sehr schön ist. Klar ist für mich: Ich brauche eine Aufgabe, die mich erfüllt. Ich kann mir vorstellen, im Sportumfeld zu bleiben, aber genaueres wird sich in den nächsten Monaten zeigen.