Olympische Spiele in Paris: Das verspricht Spannung, Höchstleistungen und Sportmomente für die Ewigkeit rund um Eiffelturm, Champs-Élysées und Arc de Triomphe. Doch auch fernab des Hauptgeschehens in der französischen Hauptstadt kämpfen zahlreiche deutsche Athlet:innen um Edelmetall – und um das olympische Feeling. Während die Segler:innen ihre Wettkämpfe vor der malerischen Kulisse der Côte d’Azur bestreiten, geht es für viele Teams zunächst darum, sich über die Vorrunde und K.o.-Phasen in anderen Städten ein Ticket für die Finals in Paris zu erspielen. Doch auch gut 15.700 Kilometer entfernt, auf der französischen Überseeinsel Tahiti, wird es olympisch. Dort gehen die besten Surfer:innen auf die Jagd nach der perfekten Welle – Südsee-Flair und ein legendärer Surf-Spot inklusive.
Zeitunterscheid: Zwölf Stunden. Entfernung: 15.760 Kilometer. Flugzeit: Mindestens 19 Stunden. Wenn es Nacht wird in Paris, steigt auf der anderen Seite des Erdballs die Spannung. Dann nämlich finden die olympischen Surfwettbewerbe 2024 auf der französisch-polynesischen Insel Tahiti, im kleinen Dorf Teahupo’o statt. Teahupo’o – ein Ort, dessen Klang die Herzen von Surfer:innen aus aller Welt höherschlagen lässt. Nicht bloß wegen der Schönheit der tropischen Südseeinsel, sondern vor allem wegen einer Welle, die zweifellos zu den faszinierendsten und gefürchtetsten weltweit zählt. Mittendrin: Camilla Kemp und Tim Elter, die beiden deutschen Starter:innen bei den Wettkämpfen im Südpazifik.
Bereits mit der Qualifikation schrieb Camilla Kemp Geschichte. Als erste weibliche deutsche Surferin überhaupt nimmt sie an den Olympischen Spielen teil. „Ich bin sprachlos. Träume werden wirklich wahr“, postete die 28-Jährige nach ihrer erfolgreichen Qualifikation bei den Weltmeisterschaften im puerto-ricanischen Arecibo auf Instagram. Inzwischen ist ihre Sprachlosigkeit der Vorfreude gewichen.
„Teahupo’o wird unseren Sport in all seinen schönen und extremen Facetten zeigen. Natur pur, keine Hochhäuser, eine supergroße und schwierige, aber wunderschöne Welle“,
gerät sie ins Schwärmen. Nach der olympischen Premiere des Surfens in Tokio 2021 zeigt sich der Sport drei Jahre später von seiner ursprünglichsten, schönsten Seite. Der legendäre Surfspot im Herzen Polynesiens ist für seine einzigartige Wellenbildung mit kraftvollen und hohlbrechenden Wellen bekannt, die regelmäßig eine Höhe von zwei bis drei Metern, je nach Jahreszeit sogar bis zu sieben Metern erreichen. Die Verkündung des Austragungsortes der Surfwettbewerbe seitens des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) Ende 2019 blieb daher nicht frei von Kritik. Zu gefährlich seien die Wellen vor allem für den Wettkampf der Frauen, hieß es. So tauchte Teahupo’o bis dato auch nicht im internationalen Wettkampfkalender der Surferinnen auf. Der olympische Surfwettbewerb wird somit einer der ersten Contests, bei dem es die Frauen mit der berüchtigten Welle aufnehmen. „Das ist etwas Neues und zeichnet das Frauen-Surfen aus. Es zeigt, dass wir Frauen das auch können“, so Camilla Kemp, die seit 2020 unter anderem im Top-Team Future von der Sporthilfe-Förderung profitiert. Wie gefährlich die Welle werden kann, musste auch Camilla Kemp bei einem Trainingssturz schon am eigenen Leib erfahren. Zu den Eigenheiten der Welle in Teahupo’o gehört, dass sie nicht auf Sand oder Felsen bricht. „Es ist eine Welle, die sehr stark auf sehr niedrigem Wasser bricht. Es gibt nur einen Moment für den Take-off. Wenn man den verpasst, stürzt man auf eine scharfe Riffplatte und wird von der kraftvollen Welle darüber gezogen“, sagt Kemp.
Auch Tim Elter sieht in der Welle die größte Herausforderung. Es sei ein schmaler Grat „zwischen der Welle des Lebens und einer schweren Verletzung.“ Mit ausgiebigem Krafttraining, Apnoe-Training und Mental-Coaching bereitet sich der 20-Jährige auf Tahiti vor, „um auch im Fall eines Sturzes vorbereitet zu sein“, so Elter. Trotz aller Gefahren hält er die Auswahl des Wettkampfortes für richtig: „Es ist eine sensationelle Chance, der Welt zu zeigen, was Surfen bedeutet. Tahiti ist ein Surf-Spot wie aus dem Bilderbuch.“ Zuschauer:innen dürfen sich auf beeindruckende Bilder von paradiesischen Stränden, türkisblauem Wasser und einzigartigen Wellen freuen. Die zwölfstündige Zeitverschiebung nach Mitteleuropa erachtet Tim Elter ebenfalls als positiv:
„Wenn wir surfen, sind wir für viele Länder, die gerade Tageslicht haben, das einzige olympische Event, das Live im TV übertragen wird.”
Dazu zählen unter anderem wichtige Surf-Märkte wie Australien und auch die Westküste der USA. „Ich glaube, die Olympischen Spiele 2024 werden dem Surfen eine nie dagewesene Reichweite ermöglichen“, so Elter, der das Olympia-Ticket – genau wie Kemp – bei den Weltmeisterschaften in Arecibo löste. „Dafür habe ich die letzten dreieinhalb Jahre hart gearbeitet“, sagt er. „Ich bin stolz, dass ich es für Deutschland geschafft habe und so Teil von etwas Größerem sein kann.“
Einen Wermutstropfen gibt es bei aller Vorfreude auf die Olympischen Spiele aber auch: Durch die Abgelegenheit Tahitis und die Tatsache, dass ausschließlich die Surfer:innen ihre Wettbewerbe in der Südsee austragen, unterscheidet sich das Event atmosphärisch kaum von anderen Contests ihres Wettkampfkalenders. „Wenn wir im Wasser gegeneinander antreten, wird es sich wie ein normaler Wettkampf anfühlen“, sagt Tim Elter. „Schade“ findet Camilla Kemp, dass sich die Wellenreiter:innen in einer Art „Bubble“ befinden. „Das olympische Gefühl bekommen wir so natürlich nicht richtig mit“, sagt sie. „Zu Olympia gehört der Austausch zwischen den Sportlerinnen und Sportlern und das Kennenlernen anderer Sportarten. Es ist ein besonderes Ereignis, das wir – wenn überhaupt – nur ein oder vielleicht zweimal in ihrer Karriere erleben dürfen.“ Olympiaatmosphäre erwarten die beiden deutschen Surf-Hoffnungen aber dennoch. „Das Drumherum ist spürbar anders“, sagt Tim Elter, der seit 2021 von der Sporthilfe unterstützt und dabei mehrere Programme durchlaufen hat. So wird beispielsweise pünktlich vor Start der Wettkämpfe ein „Olympisches Dorf“ auf einem Kreuzfahrtschiff eingerichtet, das vor Tahiti vor Anker liegt. In Camilla Kemp löst dies bereits jetzt ein „olympisches Gefühl“ aus. „Wir spüren schon, dass alles doch ein wenig größer ist.“. Und wenn es erstmal so weit ist, steigt die Spannung auf dem Wasser von Tehaupo’o ohnehin ins Unermessliche.
Eine Welle, die den Athet:innen alles abverlangt, ein bezaubernder Ort im Herzen Polynesiens und der olympische Geist: „Im Surfen ist alles möglich. Es braucht die richtige Welle zur richtigen Zeit“, antwortet Camilla Kemp auf die Frage nach ihrer Zielsetzung. „Ich werde einfach alles geben. Dann kann auch eine Medaille realistisch sein.“ Eine solche hat auch Tim Elter fest im Blick: „Ich will mit einer Medaille nach Deutschland zurückfliegen – am besten Gold“, sagt er. Auf eines freuen sich die beiden Wellenreiter:innen aber gleichermaßen: Nach ihren Wettkämpfen, die planmäßig vom 27. bis 31. Juli stattfinden werden, reisen sie gemeinsam nach Paris, um die letzten Tage der Olympischen Spiele in der französischen Hauptstadt zu erleben und die Atmosphäre „aufzusaugen“: „Ich freue mich darauf, mich mit anderen Sportarten auseinanderzusetzen und andere Sportlerinnen und Sportler kennenzulernen“, so Kemp. „Das ist doch das Schöne an Olympischen Spielen.“
Nach Paris will auch die Deutsche Frauenfußball-Nationalmannschaft, die ihre Vorrundenbegegnungen aber zunächst in Marseille – gegen Australien (25. Juli) und die USA (28. Juli) – und Saint-Etienne – gegen Sambia (31. Juli) – bestreitet. Nur bei Erreichen des Endspiels um die olympische Goldmedaille am 10. August im Parc des Princes reist das Team – unter rein sportlichen Gesichtspunkten – nach Paris. Eine Situation, die den Fußballerinnen aber durchaus bekannt ist, darunter Sara Däbritz. „Wir wussten damals, dass wir nur ins olympische Dorf einziehen, wenn wir es ins Finale schaffen“, erinnert sich die Olympiasiegerin von Rio de Janeiro 2016. „Das war ein besonderer Ansporn. Das willst du als Sportler bei Olympia natürlich unbedingt erleben.“ Von den Goldmedaillengewinnerinnen aus Rio wird voraussichtlich nur Kapitänin Alexandra Popp im Aufgebot für Paris sein. Für Sara Däbritz selbst kommt das Turnier nach einer Sprunggelenksoperation wohl noch zu früh. Die Besonderheit Olympias hatte die 104-malige Nationalspielerin immer wieder betont.
Es sei „eines der schönsten Dinge, die ich in meiner Karriere erleben durfte“, so Däbritz, die aber auch im Vereinsfußball eine spezielle Verbindung zur französischen Hauptstadt besitzt. 2019 wechselte die damals 25-Jährige zu Paris Saint-Germain. „Es war meine erste Auslandserfahrung, das erste Mal, dass ich in einem anderen Land wohnte.“ Gerade die Sprache sei zunächst eine Herausforderung gewesen.
„Paris ist eine so schöne Stadt, in den Jahren bin ich als Mensch und Sportlerin gewachsen. Ich finde es großartig, dass die Olympischen Spiele dort ausgetragen werden.“
Däbritz lebt nach wie vor in Frankreich, wechselte 2022 zum Ligakonkurrenten Olympique Lyon und sicherte sich in der abgelaufenen Saison den Meistertitel in der französischen Division 1 Féminine, der höchsten Frauenspielklasse Frankreichs. In der Sommerpause wird die 104-malige Nationalspielerin, die von 2013 bis 2020 Sporthilfe-Fördermittel erhielt, in der Reha weiter an ihrem Comeback arbeiten und bei den Spielen ihrer Nationalmannschaftskolleginnen mitfiebern – sicher in Gedanken an das „unvergessliche“ Rio 2016. „Die Goldmedaille hat die ohnehin schon besondere Erfahrung noch mal gekrönt“, erzählt sie. „Das Turnier, die Stimmung im olympischen Dorf und das Einheitsgefühl unter all den Sportlerinnen und Sportlern, die für Deutschland antreten“, das sei etwas ganz Besonderes.
Paris als großes Ziel? Diese Motivation verspürt Philipp Buhl nicht. Der Laser-Segler steht nach Rio 2016 und Tokio 2021 vor seiner dritten Olympia-Teilnahme. Die olympischen Segel-Wettkämpfe finden vom 1. bis zum 8. August im südfranzösischen Marseille statt, vor der Küste der malerischen Côte d’Azur.
Dass die Regatta außerhalb des Hauptaustragungsortes stattfindet, ist der 34-Jährige, der seit 2008 von der Sporthilfe unterstützt wird, von seinen bisherigen Teilnahmen durchaus gewohnt. „Das macht es einfacher, mit dem Kopf wirklich bei der Sache zu bleiben“, gewinnt Buhl der Situation etwas Positives ab. Schließlich sei es die größte Herausforderung bei Olympia, den Wettkampf „möglichst normal“ anzugehen.
„Als Sportler wirst du von tausend Sachen daran erinnert, dass gerade Olympische Spiele sind – und eben kein normaler Wettkampf. Da ist es gut, dass wir Segler in unserer kleinen ,Bubble‘ sind, außerhalb dieser Weltstadt Paris, die wahrscheinlich komplett durchdreht.“
Fokussierung auf das Wesentliche lautet also die Devise des gebürtigen Allgäuers. Auch für die Eröffnungsfeier wird Philipp Buhl daher nicht nach Paris reisen. „Den Stress möchte ich mir nicht antun, das habe ich in Rio schon erlebt. Der sportliche Erfolg hat absolute Priorität.“ Dabei hat „Buhli“, der in der Bootsklasse Laser-Standard startet, eine Medaille als „großes Ziel“ ausgesprochen. Möglich sei alles, so der Sportsoldat. Schließlich müsse bei einem olympischen Wettkampf alles zusammenpassen: Vor allem mentale Aspekte spielen eine Rolle. Nicht zuletzt habe aber auch das Segelrevier in den Gewässern Marseilles seine Eigenheiten, die es zu meistern gilt. Denn für die Segler:innen hält die fotogene Landschaft der Côte d’Azur einige Herausforderungen parat. Die bergige und hügelige Küste und tückische Meeresströmungen machen es zu einem „schwierigen Revier. Wir müssen verstehen, was der Wind macht, wenn er über die Hügel oder drumherum weht. Es gibt viele Faktoren, die es zu einem sehr speziellen Revier machen“, sagt Philipp Buhl, der seine Erfahrung als wichtige Komponente für den Erfolg sieht. Schließlich besteht ein Wettkampf aus zehn Einzel-Wettfahrten. In einer Freiluftsportart seien die Bedingungen auf dem Wasser manchmal eben unvorhersehbar, „trotzdem setzen sich am Ende oftmals die erfahrenen Sportler durch“, sagt er und führt fort: „Die Leistungsdichte ist in unserer Klasse enorm hoch, Nuancen können da entscheidend sein, für eine Medaille muss alles passen.“
Letztlich möchte Philipp Buhl nach seinem Wettkampf dann doch noch nach Paris reisen: „Es ist eben eine ganz besondere Atmosphäre, die man so nur während Olympia erleben kann“, sagt er. „Du siehst Weltstädte so, wie du sie nie wieder sehen kannst, das empfinde ich als echtes Privileg.“
Erschienen im Sporthilfe Magazin